Film „Ich habe getötet“

Der Film „Ich habe getötet“ von Alice Schmid aus dem Jahre 1998. Trotz seines Alters ist diese Film ausgewöhnlich und kaum zu ersetzen.

 

1998 – In Monrovia, der Hauptstadt des vom Krieg verwüsteten westafrikanischen Liberia, geht es im ‘Talking Drum Studio‘ um ehemalige Kindersoldaten. Um zu überleben, müssen viele von ihnen betteln, stehlen oder sich prostituieren. Fünf der ehemaligen Kindersoldaten, sie sind heute zwischen 20 und 25 Jahre alt, kommen ausführlich zu Wort: Stockend und immer wieder durch langes Schweigen unterbrochen, berichten Melvin, Maud, Josefine, Glasgow und Roberta von den Ereignissen, die ihr Leben für immer verdüstert haben. Als Kinder von den marodierenden Kriegsbanden zwangsrekrutiert, waren sie schon Opfer kriegerischer Gewalt, ehe sie selbst gezwungen wurden, zu kämpfen und zu töten. Der Krieg hat ihr Leben zerstört. Sie leiden unter Schlafstörungen, Angstzuständen und Depressionen. Deutlicher als alle Worte lassen die ins Leere gerichteten, starren Blicke und die gebrochene Körperhaltung das innere Elend erahnen. Nun fühlen sie sich um ihre Jugend, um ihre Gesundheit und um ihre Zukunft betrogen. Trotzdem geben sie auch ihren vagen Hoffnungen auf ein besseres Leben Ausdruck. Sie möchten in die Gesellschaft integriert werden und etwas sinnvolles lernen. (Text Verleiher) Informationen zu den Akteuren im Film

Vor dem Film

Wir erklären, dass in diesem Film zwar kein Schuss fällt, dass kein Blut gezeigt wird, dass es trotzdem teilweise schwer zu ertragen ist, was die Jugendlichen im Film sagen. Wir bitten daher die SchülerInnen, die Hand zu heben, wenn sie Gesprächsbedarf haben. Wir achten auch von unserer Seite auf die Mimik der Jugendlichen und stoppen um das bis dahin Gesehenen und Gehörte verarbeiten können.

Es sind vor allem die Berichte der drei Kindersoldatinnen, die die Jugendlichen stark berühren. Sie sprechen wenig, mit großen, fast unerträglich langen Pausen. Die Jugendlichen sind erstaunt, dass 40 Prozent aller Kindersoldaten Mädchen sind. Sie berichten von den Vergewaltigungen und den Schmerzen, die sie seitdem haben.

Nach dem Film

Wir geben den Jugendlichen viel Zeit, sich nach dem Film zu fassen. Um die Schwere aus der Situation zu nehmen, nehmen wir einen Nebensatz auf, den Josephine als Fazit am Ende des Films sagte: „Ich würde nie wieder für einen Krieg bleiben!“ Genau das bewegt viele der jungen Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Sie wollen nicht hineingezogen werden in eine Spirale von Gewalt. Schon sind wir bei den Jugendlichen aus Syrien, dem Irak oder aus Afghanistan, die seit kurzem an der Schule der Jugendlichen sind.

Wir stellen die Frage, was Mädchen im Krieg verloren haben? Wir kommen dann darauf, dass jeder Krieg mit sexueller Gewalt funktioniert. Sexuelle Gewalt haben im 2. Weltkrieg die deutschen Soldaten in Russland ebenso angewandt, wie die russischen in Deutschland. Auch UN-Soldaten werden immer wieder angeklagt. Wie kommt das? Wir fragen, ob es nicht grundsätzlich eine Machtfrage ist: Wenn Männer die Macht über Frauen haben, gleich in welcher Situation, droht die Gefahr von Grenzüberschreitungen. Interessant dazu der WDR-Hörfunkbeitrag „Jede Nacht holten sie eine andere“

Auch die jungen Männer, einer blind, entzaubern das Bild vom starken Krieger. Es bleibt einfach nach diesem Film nichts von der gewaltverherrlichenden Sicht der Kriegsfilme und -spiele. Genau das ist so wichtig für die Jugendlichen.

In den Workshops, die wir regelmäßig im Jugendarrest durchgeführt haben hat, dieser Film auch diejenigen stark beeindruckt, die sonst nur schwer zugänglich sind. Einmal hat ein 17jähriger gesagt, dass er jetzt begreife, wie sich eine Frau fühlt, die vergewaltigt worden ist. Er hat etwas begriffen!

 

Genauere Beschreibung der Personen im Film

Da ist Melvin, 22 Jahre alt,
ist blind. Er ist verbittert, weil er heute allein ist, von allen verlassen, ohne irgendeine Hilfe, wo er doch nur „gekämpft hat, um mich und das Land zu schützen“. „Ich habe auch für euch gekämpft“, meint er, „und deshalb hole ich mir manchmal das Brot mit Gewalt, das ihr mir nicht gebt.“ Früher, meint er, hätte er jeden Tag etwas zu tun, mit den anderen Spaß gehabt und sich frei bewegen können, aber heute, da er blind sei, könne er nichts mehr tun. Wenn er die Augen schließe, sehe er das Leben an sich vorbeiziehen.

Maud, 21 Jahre alt
erzählt, dass sie 12 Jahre alt war, als der Krieg begann und sie mit ihrer Mutter flüchten musste. Zwei Tage und zwei Nächte seien sie gelaufen, durch den Wald und irgendwann seien sie von Rebellen angehalten worden, die sie Madussi (Volksstamm) gerufen hätten. Als die Mutter ihnen sagte, dass sie keine sei, sie als Mutter müsse das ja wissen, schlugen sie der Mutter ins Gesicht. Man ließ sie schließlich gehen und wieder wanderten sie weiter. Maud sagte schließlich ihrer Mutter, dass sie das nicht lange durchhalten könnten und sie deshalb zu den Rebellen ginge. Sie sprang auf den erst besten Lastwagen und schloss sich den Rebellen an. Maud hat miterlebt, wie ihr Freund direkt neben ihr erschossen wurde. Sie musste sich ständig wehren gegen die sexuellen Übergriffe der Rebellen. Maud erzählt, wie sie jeden Morgen ihren „Einsatzort“ genannt bekamen und Munition erhielten. Oft mussten sie tagelang laufen und sie hatte nie Zeit zum Schlafen. Sie war immer allein, musste sich allein ernähren und durchschlagen, ohne Vater und Mutter und sie erzählt, dass sie heute nichts tut, außer den ganzen Tag zu schlafen. Ihre Mutter weint, weil sie sich nicht um sie kümmert, aber sie will niemanden sehen, weil sie sich schämt, weil sie nicht einmal schreiben kann. Sie beklagt die Zeit, die sie mit dem Krieg vergeudet hat und sagt, sie würde „es nie wieder tun“ – „wie automatisch zielen, Menschen verletzen und töten. Für keinen Krieg würde ich mehr in meinem Land bleiben. Ich brauche Hilfe.“

Glasgow, 24 Jahre alt
erzählt, dass er noch ganz klein war, als er mit der Familie flüchtete. Sie töteten seinen Vater vor seinen Augen, weil sie ihn verdächtigten, zu einer anderen Gruppe zu gehören, und er versteckte sich aus Angst. Aber er wurde gefangen genommen. Wenn die Kämpfe abends losgingen, erzählt er, seien alle bereit gewesen zu fliehen. Aber man habe ihnen Drogen gegeben – gegen die Kälte, aber auch, damit sie besser töten könnten, wahllos, oder manchmal gezielt, indem Wetten abgeschlossen wurden. Sogar Schwangere hätten sie getötet. Heute erscheint ihm oft sein Vater im Traum. Er träumt, wie sie flüchten, wie sie ihn töten, und dann wacht er schreiend auf. Einmal ist im Traum sein Vater erschienen, um ihm zu sagen, er solle sich keine Sorgen machen, er wisse, daß aus ihm noch etwas werde. Aber Glasgow sagt: „Früher war meine Zukunft voller Licht, aber heute ist sie das nicht mehr. Ich warte nur auf jemanden, der mir da heraushilft.“

Josephine, 22 Jahre alt
heute sie sitzt den ganzen Tag irgendwo herum und hofft, dass Leute ihr etwas geben, während sie weiß, dass ihre Kinder zu Hause nichts zu essen haben. Sie hat keine Ausbildung, keine Arbeit, und klammert sich dennoch an die Hoffnung, dass es in ihrer Zukunft etwas Gutes geben wird. Als Josephine acht Jahre alt war, verließ sie ihre Schwestern und ein Onkel brachte sie in die Schule. Aber als der Krieg begann, lief der Onkel davon und ließ sie allein. Sie versuchte allein hinter die Frontlinie zu gelangen; sie wurde gefangen genommen und gequält. Der Chef der Rebellen vergewaltigte sie und sagte ihr, dass er sie so sehr liebe, dass er sie nicht gehen lassen könne. Er drohte, sie zu erschießen, wenn sie schreie und sie wünschte sich nur, dass er sie töte. Sie sah schließlich keinen anderen Weg, als sich den Rebellen anzuschließen. Josephine erzählt, dass sie mit einer sehr kurzen Waffe tötete, manchmal auch mit einer Beretta. Sie kann seit ihrer Vergewaltigung nicht mehr schlafen und betet, dass die Schmerzen endlich verschwinden, unter denen sie seither leidet.

Roberta, 21 Jahre alt
bringt keinen Ton heraus, weint nur still vor sich hin.